Der Brustwarzen-Milchmann. Kunststück oder ein Stück Kunst.

Jeder stößt in seinem Leben auf Menschen, die etwas Besonderes haben oder können. Kommen diese ExotInnen aus unserem engeren sozialen Umfeld, schwanken die Emotionen zwischen Bewunderung über Neid bis zu Missgunst. Die Erfahrungen mit außergewöhnlichen Personen, zu denen eine gewisse emotionale Unabhängigkeit besteht, sind für uns weniger ein Phänomen von einem anderen Stern, als mehr die schlichte Natürlichkeit der Besonderheit. So würden z.B. 68% aller Partnerinnen, das Fremdvögeln ihres Mannes mit einem Star, nicht als sexuellen Betrug bewerten… (Hat zwar wenig damit zu tun, ist aber trotzdem interessant). Der Mensch mag Extravaganz. Individualität ist in unserer Gesellschaft zu einem selbstverständlichen Identitätsmerkmal herangewachsen, ähnlich dem Trend des Wählengehens zur Bundestagswahl. Zwischen Individualität, die toleriert wird und Besonderheit, die peinlich ist, scheint der Grat schmaler zu sein, als …. na….was anderes, was so richtig extrem schmal ist.
Wir haben 160 Leute getroffen und beobachtet, was sie fühlen, wenn sie einen Mann Milch geben sehen – aus seiner Brustwarze natürlich.
Eine heitere, glamouröse aber höfliche Nacht sollte es werden. Als hätten die Veranstalter der Releaseparty am 06.11.09 den Titel „BUSEN?“ im Nachhinein formuliert. Wie erste Pressestimmen wenig Tage später titelten: „Scham und Schmerz der Skandalfeier“, wird heute totgeschwiegen, was damals geschah.
Die Party wird an ihrem Höhepunkt um 01:35 durch eine Stimme am Mikrofon, auf den Nullpunkt gezogen. Er trägt eine braune Bundfaltenhose und ein weißes T-Shirt. Ab und zu nippt er an einer gelben Bierdose und lässt Testblicke durch den Raum schweifen, als ahnte er schon, dass sich bald etwas ändert. „Er ist ein normaler Typ, ein Piefke“, erzählt ein junges Mädchen mit Erbrochenem im Nacken. Angestrengt versucht der normale Typ, den Lautstärkepegel der Masse durch die Ankündigung, er würde Milch aus seiner Brustwarze geben können, zu übertönen. Die Skandalfeier musste Überraschungen bereit halten, weshalb man die sonst nervigen Geburtstagsgrüße für Mandy und Ronny aus dem DJ-Mikro ausnahmsweise für einen Augenblick akzeptiert. Es zieht sich gefühlte 1,5 Liter Bier lang, bis die Auktion und der Wetteinsatz abgeschlossen sind und der vermeintliche Individualist mit dokumentierendem Live-Stream beginnt, seine Brustwarzen zu melken. Die Anstrengungen vom Auspressen seines Warzenhofes zeichnen Falten in sein Gesicht. Dominierend jedoch hinterlässt er den Stolz einer Mutter, äähhh eines Vaters, der sein Kind stillt.
Eine Zeugin wird auf Brusthöhe geholt, als sie im Schock aufschreit und in abwinkendes Gelächter verfällt. Er gibt Milch. Keinen Strahl, nicht gespritzt, aber in Tropfen kleckernd.

Galaktorrhö bei witzigen Menschen Galaktorrhö bei witzigen Menschen

Ungeduldig wird die Musik aufgedreht und die Wetteinsätze inklusive des Auktionsertrages wandern in die prallgefüllten Kassen der Veranstalter.

Die Menschen mögen, nein erwarten Individualität und Sensationalismus, aber bitte nicht ohne Feuerwerk, einen Zirkusdirektor und erst recht nicht Etwas, was den eigenen Bruder, Vater oder Freund betreffen könnte. Zwischen einem schönen Kunststück und einem Stück Kunst scheint ein Haufen aus Stückchen zu liegen. Dieser stinkt und entscheidet, wohin der Weg geht und ob man einen Schritt drüber steigt.
Wir sind ein Qualitätsmedium und haben recherchiert, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Galactorrhea bezeichnet das Phänomen der milchgebenden Brust bei Frau und Mann. Die Hyperfunktion des Hormons Prolaktin, freigesetzt in der Hypophyse, bedingt den Milchfluss (während der Schwangerschaft der Frau recht normal). Es handelt sich hier nicht um ein evolutionsbedingtes Rudiment beim Mann, sondern um eine Besonderheit, die auf die Hormonproduktion zurückzuführen ist, also was bei jedem Menschen auftritt – nur in verschiedenem Maße. Die Universität Calgary befasste sich zudem mit den psychologischen Auswirkungen von tropfenden Brüsten beim Mann und meint, dass der Milchfluss ohne äußere Einwirkungen zu traumatischen Schäden beim Mann führen kann. Kein Grund zur Sorge, wenn nicht ein Hirntumor die Ursache ist.
Nicht so bei unserem Individualisten. In der Vorführung seiner Besonderheit war durchaus äußeres Einwirken von Nöten, damit sich das weiße Gold, wie es die Gewerkschaft der Milchbauern bezeichnet, extrasomatisch blicken ließ.
Die Stimmung im Raum wird von den reflektierten Gästen als drückendes Fremdschämen empfunden und als peinliche Infantilität von den Leuten an diesen Fäden… achja Sozialmarionetten, beschrieben.
In unserer hochindividuellen Gesellschaft hat jeder alles gesehen und jeder alles erlebt. Im nächsten Kleinkunsttheater beklatscht man die Expressivität der Reste einer Soljanka, die der „Künstler“ live gebärt und trotzdem werden kontroverse Gespräche zu intimen Themen mit „klar, was soll die falsche Anonymität“ versucht abzureißen.
Wir beklatschen den Kleinkünstler wohl das letzte Mal, wenn sich herausstellt, dass er an einer Darmkolik sterben muss. Und wir werden Galaktorrhea Erkrankten wohl ein kleines Lächeln schenken, wenn wir es selbst an uns ausprobiert haben.
Zurück bleibt ein normaler junger Mann, mit entzündeten Brustwarzen und einer Krankheit, die auf wenig Toleranz in der Gesellschaft stößt.
Die HYDRA möchte sich als Veranstalter selbstverständlich zu dem Ereignis positionieren und bittet den Hausmeister J. Ramm zur Stellungnahme: „Also icke, ick hätt’ mir ja nbisschen mehr Rotze da ausse Titte vorjestellt“ (verschluckt sich dabei am Auswurf seines Raucherhustens).
Aus der Redaktion plaudert S. Klug ungefragt: „Nun, ein Schwulen-Porno, Luftballons die von der Decke fallen und milchgebende Männer, das ist eine Trilogie wie ich finde“.

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